Wenn meine Mum schon auf ihre schreibfaule Tochter
angesprochen wird, dann ist es Zeit einen neuen Eintrag im Blog zu machen, so
viel steht fest. Gut, hier kommt er. Um meinen neu erworbenen Ruf zu wahren,
veröffentliche ein paar Zeilen aus meinem Rundbrief. Dann zerschlage ich 2
Fliegen mit einer Klappe, BAM.
Meine anfängliche Überlebensstrategie
bestand darin, erst einmal alles zu beobachten und dann nachzumachen. Ich gebe
zu, das klingt nicht nach einem ausgeklügeltem Plan, allerdings zeigte er sich
als äußert sinnvoll und das nicht nur wenn man die Straße überqueren will und
einem Inder so dich hinterherläuft, dass die Gefahr besteht, ihm in die Hacken
zu treten. Dieses Risiko geht man jedoch gerne ein, wenn man sich den Verkehr
hier einmal anschaut.
Das indische Leben erschlägt jeden
Europäer, der vorher noch nicht in Asien war, sobald er das Flughafengebäude
verlässt (oder vielleicht auch schon, wenn er es betritt). Hitze, Dreck,
überall Menschen und dazu noch ein Lärm und ein Geruch, den man wahrscheinlich
alles andere als angenehm findet. So kommt es, dass man sich schon sehr früh
mit der Frage konfrontiert, ob dies alles nun wirklich die richtige
Entscheidung war und wie genau man jetzt ein halbes Jahr in diesem Land
überleben kann.
Nach ungefähr 2 Monaten in meinem neuen
Zuhause hier in Mayiladuthurai fällt die Antwort erstaunlich leicht. Ja, es war
die richtige Entscheidung und im Grunde ist das Leben hier recht einfach, aber
sehr aufregend.
Ich wohne nun auf dem T.E.L.C Compound,
einem Heim, beziehungsweise Internat mit ungefähr 250 Mädchen zwischen 6 und 19
Jahren.
Die Kinder sind keine Waisen, sondern
kommen aus sehr armen Familien, die nicht richtig für sie sorgen können. Dies
ist durchaus zusammenhängend mit der allgemeinen Benachteiligung von Mädchen
und Frauen in der indischen Gesellschaft. Hier aber werden ihnen Essen, ein
sicheres Umfeld und eine Schulbildung ermöglicht. Die Regeln sind allerdings
sehr streng und der Zeitplan ist voll: Neben Essen, Schule, Küchendienst und
dem Waschen der Kleidung ist auch noch Gartenarbeit, also die Pflege des
Geländes notwendig. Nach der Schule müssen die Mädchen ihre Hausaufgaben machen
und nach dem Abendbrot kommt es erneut zu einer Lerneinheit. Auch Samstag ist
Unterricht und Sonntagvormittag gehen alle geschlossen in die Kirche.
Kathi, meine Mitfreiwillge, und ich haben
ein Zimmer mit Bad in dem Haupthaus, in dem sich auch noch die zwei Zimmer der
Managerin, ein Gästezimmer, unser Esszimmer und die Büroräume befinden.
Wenn ich nun versuche, unseren Tagesablauf
darzustellen ist das nicht so ganz einfach, denn hier ist wirklich jeder Tag
anders. Ich muss auch zugeben, wir haben eher nur einen Plan, wie unser Alltag
eigentlich aussehen sollte, doch kommt es noch höchst selten vor, dass er sich
im Laufe des Tages wirklich so erfüllt, wie er vorhergesehen ist.
Normalweise also, stehen wir um 5 vor 8
auf, um dann um 8 beim Essen zu sein. Um halb 9 sind wir meistens fertig und
gehen zum Morning Prayer, welches dann bis viertel vor 9 dauert. Dann geht’s um 9 los zum Busbahnhof und wir fahren um 10
nach 9 nach Killiyanur zum Kindergarten. Mit dem Fußweg einberechnet sind wir
immer ungefähr um 10 Uhr dort und beginnen uns dann gleich mit den Kindern zu
beschäftigen. Wenn wir ankommen, dann springen sie auch immer schon auf und
begrüßen uns ganz freudig mit „Good morning akka“, was so viel heißt wie „große
Schwester“. Um 11 Uhr bekommen die Kleinen immer eine Art Brei und wir eine
unglaublich leckeren Tee mit Obst oder Keksen. Danach beginnt das Programm: Wir
teilen uns meistens auf und ich gehe zu den größeren Kindern. Wir üben
Buchstaben oder Zahlen, malen (dann geben mir die Kinder immer ihre Tafeln und
ich soll malen, was sie sagen. Äußerst selten malen sie selber etwas), singen
oder tanzen und erzählen Geschichten. Die Verständigung klappt soweit ganz gut,
allerdings werde ich schon immer etwas traurig, wenn sie mir eine Geschichte
erzählen und ich sie einfach nicht verstehe. Andersherum ist es aber auch so,
dass sie mich nicht verstehen. So braucht man wirklich einen langen Atem, wenn
alle Kinder singen sollen, es aber so eins, zwei Kandidaten gibt, die einfach
keine Lust haben zu singen und immer wieder aufspringen und weglaufen. Ushar,
die beispielsweise in der letzten Woche allein mit 20 Kindern war, kann nicht
auf alle gleichzeitig aufpassen und wenn wir die Ausreißer dann zurückbringen
ist das gar nicht so leicht, wenn man nicht einfach sagen: „Bleib jetzt hier
und sing, ich meine es ernst.“. Mit den meisten gelingt aber eine nähere
Beziehung und wenn Ranjitha, mein absoluter Liebling, mich morgens anlächelt,
dann weiß ich warum ich aufgestanden bin, um 8. Klingt vielleicht etwas
kitschig, aber dieses Mädchen ist einfach so süß.
Um 1 Uhr gibt es dann Essen, meistens Reis
mit Soße und einer Beilage, wie zum Beispiel ein Ei, Rote Beete oder manchmal
auch Hühnchen. Wir essen dann immer um halb 2. In Killiyanur ist das Essen
wirklich richtig lecker. Auch wir kriegen Reis mit Soße (Chutney), allerdings
auch noch Möhren, Bohnen oder Kartoffeln und ein Spiegelei. An besonders guten
Tagen, so seh ich das, gibt es Chappati. Eine Art Weizenfladen, sehr kross
angebraten und hier bis jetzt das beste, was ich gegessen habe. Am Dienstag
wollen wir beim Kochen helfen und uns das Rezept aufschreiben, damit, wenn ich
wieder da bin, ihr alle von meinem super Chappatis kosten könnt.
Im Kindergarten ist danach Mittagsschlaf
angesagt, den wir und die Betreuerinnen meistens genauso halten wie die Kinder.
Um drei gibt es dann noch einmal den Brei und danach werden sie auch schon
wieder abgeholt.
Wir
unterhalten uns dann immer noch mit den Mädchen aus der Nähschule, die auch auf
dem Gelände des Kindergartens liegt. Um 4 bekommen alle noch einmal einen Tee
und man sitzt gemütlich beisammen. Den Bus nehmen wir immer um halb 5 und sind
dann wieder kurz nach 5 zuhause.
Nach 2 Monaten in Killiyanur werden Kathi
und ich jeweils in unterschiedliche Kindergarten gehen, denn zum Compound
gehören drei, die sich in der näheren Umgebung befinden: in Killiyanur,
Ambumalar und Patamangalam. Letzterer wird meine neue Arbeitsstätte.
Nach einer kurzen Entspannung zuhause geht
es dann aber noch mit unserem Englisch oder Flötenunterricht weiter, der findet
nämlich von 6 bis7 statt. Schon nach 2 Stunden wird hier aber deutlich: Ich
werde aus den Mädchen keine Oxford – Studentinnen machen können. Zum einen
liegt das natürlich an mir, allerdings ist auch auffällig wie unterschiedlich
das Bildungsniveau ist. Ein Mädchen ist unglaublich aufmerksam und sehr
intelligent, aufgeschlossen, ein anderes dagegen kann nicht richtig schreiben,
nimmt sich selber stark zurück und ist sehr still. Beide sind unglaublich lieb,
aber es fällt mir schwer, den „Unterricht“ so zu gestalten, dass sich alle
angesprochen fühlen, obwohl meine Gruppe nur aus 5 Mädchen besteht. So bleibt
es eher bei Spiel und Spaß, viel reden, aber auch zuhören und ihnen einfach
eine Stunde Entspannung und Aufmerksamkeit zu schenken, die sie gut gebrauchen
können, in ihrem straffen Alltag. Sie haben bereits einen Platz in meinem
Herzen, auch schon, bevor sie mir eine kleine Puppe geschenkt haben, die
aussieht, als ob sie schon 2 Jahre an einem Ranzen hängt. Trotzdem war ich
irgendwie gerührt.
Mit meiner Flötengruppe übe ich gerade „
Lasst uns froh und munter sein“. Das Lied mag ich und jetzt mögen sie es auch.
Es musste nur leicht verändert werden, denn die Achtel waren zu schwierig und
wer eine ambitionierte Blockflötistin ist, weiß, dass das tiefe C nicht gerade
einfach ist, weil man alle Finger auf die Löcher drücken muss. Die Mädchen,
deren Finger wirklich sehr klein sind, hatten damit ihre Probleme und so habe
ich einfach die tiefen Cs durch andere Töne ersetzt (sind ja nur 2). Geübte
Hörer werden das gute Lied aber trotzdem noch erkennen.
Für uns ist der Tag nach dem Abendbrot um 8
Uhr dann offiziell vorbei.
Indien bleibt für mich – bis jetzt, man
weiß ja nicht was noch alles so kommt – auf jeden fall noch ein Rätsel. Es
passieren Dinge, von denen man vielleicht nicht glaubt, dass sie wirklich
passieren.
So zum Beispiel mein Doktor, den ihr ja
alle kennt, der dieses Mal gesagt hat, dass er zu meiner Hochzeit kommt und
wirklich ungläubig geguckt hat, als ich meinte, dass bis dahin noch mindestens
6 bis 7 Jahre vergehen sollen.
Kathi wurde von einem Affen gebissen, der
hier auf dem Compound rumgelaufen ist. Er hat sich um ihr Bein geschlungen und
nun ja, zugebissen und sie bekam danach bestimmt 4 Injektionen, von denen wir
hoffen, dass sie wirklich helfen und nicht schaden. Sie lebt aber noch.
Am Mittwoch gab es einen heftigen Monsunregen,
der unseren ganzen Kindergarten überschwemmt hat und den Garten in ein Meer
verwandelte. Zum Bus sind wir also geschwommen und nach Hause auch. Ich habe
schon lange nicht mehr so viel Regen gesehen wie an diesem Tag.
Gestern ist mir ein Mann entgegengekommen.
Der war quasi nackt, mit einem kleinen Tuch in Form einer Servierte um die
Hüfte und er hat dem Betrachter tiefe Einblicke gewährt, auf die man auch hätte
verzichten können. So etwas gibt es in Deutschland einfach nicht!
Trotzdem, wir fühlen uns hier wohl und
herzlich aufgenommen. Die Menschen sind unglaublich freundlich und wir haben
schon ganz viele indische Mamis, Omis und Schwestern, die uns immer helfen,
wenn wir irgendwelche Fragen und Wünsche haben.
Natürlich gibt es auch Unangenehmes, Unverständnis
und bedrückende Momente, aber dazu – um die Spannung aufrecht zu erhalten –
mehr im nächsten Rundbrief.
Bis dahin, euch alles Gute, macht was, ich
schicke euch ein paar Sonnenstrahlen.
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